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Nervenzellen
Wenn nicht das Signal, das eine Nervenzelle aussendet, spezifisch für einen Umweltreiz ist, was bewirkt dann die von uns empfundene Vielgestaltigkeit der Welt? Auch hier kann die Neurobiologie mit experimentellen Ergebnissen aufwarten.
Es ist der Verarbeitungsort im Gehirn, der den Reiz spezifiziert: ``Dies bedeutet, daß das Gehirn dasjenige als Sehen interpretiert, was den visuellen Cortex erregt, und dasjenige als Hören, was den auditorischen Cortex erregt, und zwar gleichgültig, ob die Erregung tatsächlich vom Auge bzw. vom Ohr kommt.''siehe So lassen sich zum Beispiel visuelle Wahrnehmungen erzeugen, in dem die entsprechende Region in der Großhirnrinde elektrisch stimuliert wird. Einige blinde Menschen drücken auf ihre Augäpfel und erzeugen so visuelle Eindrücke. Die Signale der Nervenzellen des Auges haben in unserem Gehirn die Bedeutung des Sehens, auch wenn die Nervenzellen durch andere Anregung zum Senden gebracht werden.
Das zweite, zunächst verwirrende Ergebnis der Neurobiologen, das ich im vorhergehenden Abschnitt beschrieben habe, ist, daß die Spektren der Reize, die unterschiedliche Sinneszellen erregen, durchaus weit überlappend sein können. Wenn die Grünrezeptoren unserer Augen Signale an das Gehirn weitergeben, kann die Ursache hierfür also durchaus blaues Licht sein. Wie erkennen wir nun aber, daß etwas grün ist? Wir können doch schließlich eindeutig zwischen blau und grün unterscheiden.
Im visuellen Cortex, in dem die Signale der Farbrezeptoren verarbeitet werden, kommen beim Sehen von grünem Licht Signale von den Farbrezeptoren für grün, blau und rot an.siehe Das Erkennen des Lichts als ``grün'' geschieht dann durch den Vergleich der Signale der verschiedenen Rezeptoren: ``Die Wellenlänge des einfallenden Lichts wird also nicht durch die Aktivität eines einzelnen Rezeptors, sondern durch die relative Aktivität von mindestens zwei, meist drei Rezeptoren codiert.''siehe. Farbsehen benutzt also ein Netzwerk von verschiedenen Rezeptoren, deren Signale mit einander kombiniert und verglichen werden. Ich habe versucht, dies in Abbildung 4 zu skizzieren.
Abbildung: Die Wahrnehmung der Farbe ``grün''
Dieses Prinzip des Vergleichs der Aktivität von verschiedenen Farbrezeptoren ist die Ursache dafür, daß wir farbkonstant sehen können. Es ist nämlich keinesfalls so, daß es eine feste Zuordnung zwischen Wellenlänge des Lichts und Farbempfindung gibt. Das Licht, das von einer roten Tomate zu unseren Augen ausgesendet wird, hat mittags eine andere Wellenlänge als morgens oder beim künstlichen Licht einer Glühbirne. Trotzdem erkennen wir eine Tomate stets als rot.siehe
Diese Funktionsweise bei der Farberkennung ist typisch für die Funktionsweise von Wahrnehmungsvorgängen in unserem Gehirn. Die Signale der Sinnesnervenzellen codieren die Reize nicht eindeutig, erst durch die Verarbeitung in einem Netzwerk werden den Signalen eindeutige Bedeutungen zugewiesen: ``Eindeutigkeit erlangt das Gehirn erst durch die Auswertung der relativen Aktivität verschiedener phasisch und tonisch antwortender Zellen innerhalb eines Netzwerkes.''siehe
Diese Erkenntnis hat für die Beantwortung der in der Einleitung gestellten Frage, ob ich, wenn immer ich über das Universum spreche auch über mich spreche wichtige Konsequenzen. Die Eindeutigkeit von Sinneseindrücken wird nicht durch die Sinnesnervenzellen und deren Reizung gegeben, sie wird konstruktiv in unserem Gehirn erzeugt. Die Bedeutung dieses Ergebnisses wird im nächsten Abschnitt noch deutlicher, in welchem ich die Rolle der Erfahrung bei dieser Konstruktion beschreibe.
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