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Kybernetik

Um den Begriff der Kybernetik einordnen zu können, gebe ich zunächst eine kurze Beschreibung, wie sie in der Brockhaus Enzyklopädie zu finden ist.


``Kybernetik, [engl., zu griech. kybernetike (techne): 'Steuermannskunst'], die allgemeine, formale Wissenschaft von der Struktur, den Relationen und dem Verhalten dynamischer, insbesondere komplexer Systeme, die gewisse allgemeine Eigenschaften und Verhaltensweisen realer Systeme aus den verschiedensten Bereichen der Wirklichkeit widerspiegeln. [...] Die allgemeine Kybernetik gewinnt wesentliche Erkenntnisse aus realen Systemen, abstrahiert daraus gewisse Modelle (kybernetische Systeme), die dann theoretisch und unabhängig von irgendwelchen Anwendungen untersucht werden, und gibt die neu gewonnenen Einsichten als Verbesserung an die Anwendungen zurück.''[Brockhaus]


Die Kybernetik als Wissenschaft wurde 1948 von Norbert Wiener mit dem Erscheinen seines Buches ``Cybernetics: or 'Control and Communication''' begründet [Britannica]. Sie ist von ihrem Wesen her zutiefst interdisziplinär und hat somit auch Anwendungen in den Erziehungswissenschaften.


Um die Ideen der Kybernetik ein wenig zu erklären, möchte ich an einem einfachen Beispiel eines kybernetischen Systems einige wichtige Schlüsselbegriffe einführen. Als Beispiel wähle ich die Steuerung einer Heizung (vgl. [Cube67], S. 23ff), zum einen, da dies ein uns allen wohlbekannter Vorgang ist, zum anderen, weil die Schlüsselbegriffe der Kybernetik hier als beinahe natürliche Bezeichnungen auftreten. Der Regelkreis einer Heizung ist schematisch in Abbildung 1 dargestellt.


  
Abbildung 1: Temperaturregelung als Regelkreis ([Martial], S.76)

Der Sollwert ist ein von außen vorgegebenes Ziel, hier eine angestrebte Raumtemperatur von 20o C. Der eigentliche Regelkreis ist bestrebt, diesen Sollwert zu erreichen.


Der Regler, in diesem Fall eine elektronische Schaltung, kennt den angestrebten Sollwert und ist in der Lage, Aktionen zu koordinieren, um diesen Sollwert zu erreichen. In unserem Beispiel kann der Regler die Impulse ``öffnen'' und ``schließen'' an das Stellglied, einen mechanischen Schieber, geben.


Das Stellglied, hier ein mechanischer Schieber, der den Warmwasserzufluß zum Heizkörper kontrolliert, wird vom Regler eingesetzt, um Einfluß auf die eigentliche Regelgröße auszuüben. In diesem Sinne ist das Stellglied ein ``Mittel zum Zweck''.


Die Regelgröße ist das Objekt des Regelkreises, dessen Verhalten verändert werden soll. Durch den Einsatz des Stellgliedes erhält der Heizkörper mehr oder weniger Warmwasser. Dies bewirkt eine Veränderung der Raumtemperatur.


Der Meßfühler, ein Thermometer, das die Raumtemperatur mißt und als elektrisches Signal an den Regler gibt, ist das Objekt, das eine Rückkopplung realisiert. Es ermöglicht dem Regler, zwischen dem angestrebten Sollwert und dem erreichten Ist-Wert zu vergleichen, und gibt damit eine Entscheidungsgrundlage für die eingeleiteten Aktionen.


Diese Betrachtungsweise unterscheidet klar verschieden Rollen in der Regelung der Temperatur. Vom abstrakten Standpunkt der Kybernetik ist diese Temperaturregelung ein Kommunikationsprozeß. Die Rollen sind ausschließlich durch ihre Stellung innerhalb dieses Prozesses festgelegt.
Ein Grundprinzip der Kybernetik besteht nun darin, eine große Zahl von Vorgängen durch die gleichen Strukturen darzustellen und dadurch verständlicher zu machen: ``...wir werden indessen sehen, daß der Kern der Kybernetik gerade darin besteht, sehr verschieden aussehende Vorgänge nach denselben Prinzipien zu erklären.'' ([Cube67], S.24)


Um dies ein wenig zu verdeutlichen, betrachten wir ein weiteres Beispiel aus einem anderen Wirklichkeitsbereich, in dem wir die gleichen Strukturen wiedererkennen werden. Eben um diese Strukturen geht es der Kybernetik, um die Abstraktion der Beziehung zwischen den verschiedenen Instanzen eines Prozesses: ``unter Kybernetik im weiteren Sinne versteht man die mathematische und konstruktive Behandlung allgemeiner struktureller Beziehungen, Funktionen und Systeme, die verschiedenen Wirklichkeitsbereichen gemeinsam sind.'' ([Cube67], S.41).


Die Steuerung eines Schiffes kann als kybernetischer Regelkreis modelliert werden, wie er in Abbildung 2 dargestellt ist. (vgl. [Cube68], S.28 ff)


  

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Abbildung 2: Steuerung eines Schiffes als Regelkreis ([Martial], S.76)

Der Sollwert ist der vom Kapitän festgesetzte Kurs. Dies ist eine Zielvorgabe, die außerhalb des eigentlichen Regelkreises stattfindet. Der Kapitän trifft eine ``Urentscheidung'' und beeinflußt damit die Aktionen des Steuermanns.


Der Steuermann hat hat die Rolle des Reglers, der den Ist-Wert mit dem Soll-Wert vergleicht und aufgrund dieses Vergleichs die Entscheidungen über auszuführende Aktionen trifft. Er erhält den Ist-Wert vom Lotsen und bedient das Steuerrad, beeinflußt also das Stellglied.


Das Stellglied ist das Steuerrad des Schiffs. Es ist das Mittel, mit dem der Steuermann auf die Regelgröße des Kreises, das Ruder, einwirken kann.


Die Regelgröße dieses Regelkreises ist das Ruder des Schiffs. Die Aktionen des Reglers zielen darauf, diese Größe zu beeinflussen.


Der Lotse hat die Rolle eines Meßfühlers, der dem Steuermann den Ist-Wert der Position angibt, die Entscheidungsgrundlage für neue Aktionen des Reglers. Er realisiert somit eine Rückkopplung in dem kybernetischen System.


Wie uns der Vergleich dieser beiden Beispiele zeigt, werden die Begriffe Regler, Stellglied usw., in der Kybernetik in einem abstrakteren Sinne benutzt als in anderen Kontexten. Sie bezeichnen lediglich die Rolle verschiedener Objekte in einem Prozeß. ``Der Begriff der Information ist im Rahmen der Kybernetik zu einem reinen Strukturbegriff geworden, ein Sachverhalt, der für alle kybernetischen Begriffe gilt und [...] ein wesentliches Definitionsmerkmal der Kybernetik überhaupt darstellt. '' ([Cube67], S.28)
Besonders im Hinblick auf die spätere Beschreibung der Erziehung als Regelungsprozeß sollte man sich dessen bewußt sein. Die Bezeichnung des Erziehers als Regler ist keinesfalls eine Bewertung oder Anforderung, sie kennzeichnet lediglich seine Rolle im Regelkreis.


Als letzte Eigenschaft möchte ich die Rolle der Mathematik in kybernetischen Systemen erwähnen. Bereits die Modellierung eines Prozesses in einem kybernetischen Regelkreis ist ein mathematischer Vorgang, in dem ein konkreter Vorgang auf ein abstraktes Modell abgebildet wird. ``unter Kybernetik im weiteren Sinne versteht man die mathematische und konstruktive Behandlung allgemeiner struktureller Beziehungen, Funktionen und Systeme, die verschiedenen Wirklichkeitsbereichen gemeinsam sind.'' ([Cube67], S.41)
Zwischen den einzelnen Komponenten des Regelkreises findet eine Informationsübertragung statt. Mit Hilfe des im nächsten Abschnitt beschriebenen Informationsbegriff kann der Regelkreis zumindest prinzipiell genauer analysiert werden und unter Verwendung mathematischer Theorien optimiert werden.``'Von der Methode her gesehen, kann man die Kybernetik kennzeichnen als das Eindringen mathematischer Werkzeuge in Wissenschaftsgebiete, in denen sie bisher als nicht praktikabel erschienen, z.B. in Physiologie, Psychologie und Soziologie ...' '' ([Cube67], S.36-37 )


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Sam Sep 23 13:12:24 CEST 2000