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Probleme des orthodoxen Standpunktes

Bevor ich einige Probleme erläutere, die sich ergeben, wenn man den orthodoxen Standpunkt zur Wahrnehmungsfrage einnimmt, möchte ich erläutern, welche Konsequenzen sich aus dieser Sichtweise ergeben.

Der Abbildungbegriff zur Beschreibung der Wahrnehmung versetzt den Wahrnehmende in die Rolle eines passiven, objektiven Beobachters. Er ist von dem Objekt seiner Beobachtung getrennt, er sieht die tatsächlichen Eigenschaften der Realität. Diese Beschreibung der Wahrnehmung hat weitreichende Konsequenzen:

``Politisch gesehen entbindet die Zuflucht zur Objektivität den Beobachter von Verantwortung, denn er ist nur passiver Registrator eines Abbildungsprozesses.''siehe

Die Trennung von Beobachter und Beobachtetem ist das Rückgrat der Naturwissenschaften, in denen das die objektive Beobachtung eines Experimentes der zentrale Erkenntnisgewinn ist. Die Vorstellung von Wahrnehmung als Abbildung der Realität in unseren Geist ist damit, meist ohne daß dies explizit gesagt wird, eine Grundthese aller naturwissenschaftlichen Erkenntnisse.

Schauen wir uns nun diese orthodoxe Beschreibung von Wahrnehmung etwas genauer an. Was erklärt der Abbildungsbegriff über unsere Wahrnehmung? Er ersetzt den Begriff Wahrnehmung durch Abbildung. Er reduziert damit lediglich ein komplexes Problem auf ein einfacheres.siehe Eine wirkliche Erklärung bietet er aber nicht.

Er enträtselt unsere Wahrnehmung nicht, sondern erzeugt sofort eine neue, nicht weniger komplexe Frage: ``Wenn Wahrnehmung die Abbildung der Realität in unseren Geist ist, wer nimmt das bgebildete wahr?'' Gibt es eine Instanz in unserem Geist, die das Abbild der Realität betrachtet? Wenn ja, wie nimmt diese Instanz dieses Bild wahr? Und wieder stehen wir vor der Frage ``Was ist Wahrnehmung?''.

  

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Abbildung 2: Eine unendliche Rekursion von Abbildungen

In Abbildung 2 ist dieses Dilemma skizziert. Erklären wir Wahrnehmung als Abbildung der Realität, so erzwingt dies eine unendliche Rekursion von Abbildungen. Selbst wenn der Abbildungsbegriff geeignet sein sollte, um Wahrnehmung zu beschreiben, so erklärt er doch nichts.

Die These, daß Beobachter und Beobachtung prinzipiell voneinander trennbar sind, erlitt eine erste Krise durch die Ergebnisse der Quantenmechanik, die im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts Aussagen über subatomare Prozeße machte.

Im Rahmen der Quantenmechanik konnte man zeigen, daß ein Beobachter durch seine Beobachtung das beobachtete Objekt immer wesentlich verändert. Möchte ich beispielsweise den Aufenthaltsort eines Elektrons messen, so muß ich seine Geschwindigkeit verändern. Will ich hingegen seine Geschwindigkeit messen, so beeinflusse ich den Aufenthaltsort. Im Rahmen der Quantenmechanik gibt es also Vorgänge, die durch die Beobachtung verändert werden. Beobachter und beobachtetes Objekt sind hier prinzipiell nicht trennbar.siehe

Nun könnte man versuchen, dieses Ergebnis im Lichte der evolutionären Erkenntnistheorie als nicht wesentlich zu beschreiben. Schließlich hat die Natur unseren Wahrnehmungsapparat nicht gebaut, um subatomare Prozesse zu beobachten. In allen Fragen, in denen es tatsächlich um das Überleben unserer Art geht, sind die erkenntnistheoretischen Beiträge der Quantenmechanik vollkommen irrelevant. In den relevanten Beobachtungsgebieten hat der evolutionäre Druck dafür gesorgt, daß das von uns Wahrgenommene nahe an der Realität ist.

Doch genau an diesem Punkt liegt eine wesentliche Schwachstelle der evolutionären Erkenntnistheorie. Gerhard Roth beschreibt den Stellenwert von Wahrnehmung im Rahmen der Frage des Überlebens etwas präziser: ``Wahrnehmung ist in erster Hinsicht das Orientieren an Umweltmerkmalen zum Zweck des Lebens und Überlebens [...]''siehe

Nicht richtiges Erkennen der Umwelt ist notwendig, damit eine Art überlebt, sondern angemessenes Verhalten bezüglich der Reize.siehe Das Erkennen der Realität ist nicht notwendig, um angemessen zu reagieren. Es gibt schließlich einige Lebewesen, zum Beispiel viele Bakterien, deren Wahrnehmungsapparat deutlich primitiver ist als der unsere, die aber trotzdem seit Millionen von Jahren überlebt haben.

Ernst von Glaserfeld beschreibt den Zusammenhang zwischen Anforderungen der Umwelt und Lösungsstrategien sehr schön mit folgender Metapher:

``Ein blinder Wanderer, der den Fluß jenseits eines nicht allzu dichten Waldes erreichen möchte, kann zwischen den Bäumen viele Wege finden, die ihn an sein Ziel bringen. Selbst wenn er tausendmal liefe und alle die gewählten Wege in seinem Gedächtnis aufzeichnete, hätte er nicht ein Bild des Waldes, sondern ein Netz von Wegen, die zum gewünschten Ziel führen, eben weil sie die Bäume des Waldes erfolgreich vermeiden. [...]

Von den Hindernissen, zwischen denen all diese erfolgreichen Wege liegen, sagt das Netz ihm nichts, als daß sie eben sein Laufen hier und dort behindert haben. In diesem Sinn 'paßt' das Netz in den 'wirklichen' Wald, doch die Umwelt, die der blinde Wanderer erlebt, enthält weder Wald noch Bäume, wie ein außenstehender Beobachter sie sehen könnte.

Sie besteht lediglich aus Schritten, die der Wanderer erfolgreich gemacht hat, und Schritten, die von Hindernissen vereitelt wurden.''siehe

Die Tatsache, daß unsere Spezies evolutionär stabil ist, besagt nur, daß unser Wahrnehmungsapparat uns in die Lage versetzt, auf die Anforderungen unser Umwelt angemessen zu reagieren. Ob dabei viel oder wenig von der Realität in unseren Geist eindringt, ist für das Überleben völlig unerheblich.

Der orthodoxe Standpunkt zu Frage der Wahrnehmung ist wenig erhellend. Der Abbildungsbegriff erklärt nicht, wie wir wahrnehmen, und die Hoffnung, daß Realität und Wahrgenommenes nahe beieinander liegen, ist nur eine Hoffnung. Auch die Tatsache, daß der Homo sapiens scheinbar allen anderen Lebensformen überlegen ist, sagt nichts darüber aus.


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Fre Sep 22 22:39:25 CEST 2000