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Wahrnehmung als
subjektive Konstruktion
Der Aufbau dieses Textes zeichnet grob den chronologischen Verlauf meiner persönlichen Auseinandersetzung mit der Frage ``Wie objektiv ist meine Wahrnehmung?'' nach.
Als naturwissenschaftlich interessierten Schüler hatte Platons Höhlengleichnis mein Vertrauen zu den objektiven Naturwissenschaften tief erschüttert. Ich sah mich gezwungen, mich mit Erkenntnistheorie auseinanderzusetzen, um eine Möglochkeit zu finden, die Kluft zwischen Realität und Sinneseindrücken zu schließen.
Nach einiger Zeit fiel mir Karl Poppers Buch ``Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf.''[5] in die Hände. Dort wurde unter anderem die Grundthese der evolutionären Erkenntnistheorie, wie ich sie in Abschnitt 2.1 skizziert habe, beschrieben. Diese These überzeugte mich, daß unsere Sinneseindrücke zumindest nicht wesentlich von der Realität verschieden sind.
Mein erster Kontakt mit der konstruktivistischen Sicht von Wahrnehmung fand im Rahmen eines Seminars über ``Didaktische Modelle'' statt, in dem einige Ideen aus Watzlawicks Buch ``Wie wirklich ist die Wirklichkeit?''[8] zitiert wurden. Die Vorstellung, daß Wahrnehmung eine zutiefst subjektive Konstruktion ist, erregte heftigen Protest in mir.
Ich fragte mich, wie kann eine hochkomplexe Gesellschaft mit einer detailreichen Arbeits- und Aufgabenteilung entstehen und andauern, wenn jedes Individuum seine ganz eigene Welt wahrnimmt, die sich von der Welt jedes anderen Individuums unterscheidet? Die Uhr an meinem Handgelenk ist doch schließlich ein Beweis dafür, daß viele Menschen über lange Zeit sehr ähnliche Wahrnehmungen hatten, sich über Meßverfahren einig waren und in Zusammenarbeit komplexe Maschinen bauen konnten.
In der Vorbereitung zu diesem Vortrag habe ich die Antwort gefunden, die der Konstruktivismus auf diese Frage gibt. Die Antwort ist durchaus überzeugend und zeigt eine weitere wichtige Komponente von Wahrnehmung, die soziale Konstruktion von Wirklichkeit.
Der Eindruck von der Realität, der Wirklichkeit, die jeder konstruiert, ist zunächst ein völlig subjektiver, der nur wenig mit dem aller anderen Individuen übereinstimmt. Durch Kommunikation, durch den Austausch mit anderen, kann dann ein Konsens darüber hergestellt werden, was wirklich ist. In diesem Sinne stabilisiert Kommunikation die Konstruktion von Wirklichkeit im Gegensatz zu Halluzinationen und Träumen, die nicht stabilisiert werden: ``In der Kommunikation mit anderen Menschen entscheidet sich, was zumindest vorläufig als Wirklichkeit gilt und was nicht.''siehe
Zumindest in einfachen Zusammenhängen ist unsere Kommunikation oft sehr erfolgreich. Dies führt dazu, daß es einen deutlichen und breiten Konsens über vermeintliche Tatsachen gibt. Peter Hejl beschreibt dies anhand des folgenden Beispiels:
``Wenn ein Sprecher zu einem Hörer sagt: schließ mal die Tür, und der Hörer ist in der Lage, aufzustehen und die Tür zu schließen, dann beobachtet der Sprecher das, und aufgrund der Beobachtung dieser Handlung schließt er, daß er richtig verstanden worden ist, daß die Kommunikation erfolgreich war.''siehe
Zumindest über sehr einfache Elemente der Wirklichkeit besteht ein Konsens, weil sie vielfach durch Kommunikation abgesichert worden sind. Über die Existenz und die Bedeutung eines Tisches gibt es wenig Diskussionsbedarf siehe, denn wir haben uns schon sehr oft durch verbale und vor allem nonverbale Kommunikation darüber geeinigt.
In komplexeren Zusammenhängen sind die individuellen Wirklichkeiten jedoch oft sehr unterschiedlich. In solchen Situation ist auch Kommunikation nie perfekt möglich. Kommunikation, und damit der Vergleich der subjektiven Wirklichkeiten, basiert auf dem Wahrgenommenen, der konstruierten Wirklichkeit, und diese ist, wie im letzten Abschnitt gezeigt, immer von Erfahrung abhängig. Erfahrungen sind im allgemeinen allerdings individuell unterschiedlich.
Erfolgreiche Kommunikation ist oft von gemeinsamer Wirklichkeitskonstruktion in einem Sozialsystem (Gesellschaften, Gruppen, Vereine, usw.) abhängig. Peter Hejl beschreibt ihren Stellenwert wie folgt:
``Die wesentliche Funktion solcher Sozialsysteme ist, daß sie ihren Mitgliedern gestatten, die Kommunikation und Handlungen, die in ihrem Bereich von den Mitgliedern erzeugt werden, sinnvoll interpretieren zu können. Das heißt, sie gestatten Kommunikation, erfolgreiche Kommunikation.''siehe
Die Stabilität von Wirklichkeit und der Konsens darüber entstehen also dadurch, daß wir uns über unsere subjektiven, konstruierten Sinneseindrücke austauschen. Andererseits wirkt Wahrnehmung auch auf die Kommunikation zurück:
``Wahrnehmungen entstehen [...] nicht zuletzt als Ergebnis von Kommunikation und wirken auf Kommunikation zurück, so daß wir bei einem Wechselverhältnis beider enden, was dazu führt, daß weder das eine ausgelassen werden kann, noch das eine dem anderen vorangestellt werden kann.''siehe
Die starke Interaktion von Wahrnehmung und Kommunikation legt die Vermutung nahe, daß auch Medien, als eine wichtige Art, der Kommunikation unsere Wahrnehmung beeinflussen.
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