We are the roadcrew

Wer nicht nur die geschönten Hochglanzfotos aus meiner Homepage kennt, sondern mightymueller schon einmal im richigen Leben getroffen hat, wird es sich kaum vorstellen können: auch ich war einmal jung. Das Leben eines junge Mannes war damals hart und gefährlich. Es zeichnete sich durch naiven Freiheitsdrang, zielloses Rebellentum, fragwürdige Ideale, exorbitanten Drogenexzessen und unvorhersehbaren Hormonschüben aus. Auch ich litt unter all diesen Anzeichen. Und ich genoss es.
Einer meiner Sozialisationsfaktoren, war Lenny Kilmister, der sensible, feinfühlige, altroistische Sänger der Kapelle Motörhead. Lenny wurde mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen, lehnte die Nominierung allerdings jedesmal ab. Er ist sehr schüchtern und bescheiden.
Ebendiese Combo Motörhead schrieb einen Evergreen namens "We are the roadcrew" (der Text dieser Hymne steht hier), in dem die Vorzüge und die Männlichkeit des Lebens eines Roadies gepriesen wurden. Für die Humanisten unter Euch noch einmal kurz die Erklärung eines Roadies: [Roadie (engl.) Hilfskraft, die bei Auf- und Abbau von Rockkonzerten eingesetzt wird und oft genug als Nomade mit den Musiker durchs Land zieht; trink- und schlagfest.]
Nun, der Text dieses Liedes setzte mir die Flausen in den Kopf, dass es doch "cool" sei, ein Roadie zu sein. Und cool sein war damals verdammt wichtig!

Lenny Kilmister, ein äußerst liebenswürdiger Mann

Das Standardtransportmittel aller Rockbands
- Der Fiat 500 "Rolling Stones"
Vetternwirtschaft, Korruption und Bestechung waren die Ursache eines glücklichen Zufalls der es mir ermöglichte das Westerwälder Rock-Urgestein Wolfstein, auf eine Konzerttournee zu begleiten. Wolfstein war die derbste Rock ´n Roll Band süd-nördlich der Nister. Ihr Stil lag irgendwo zwischen dem von Judas Priest, Iron Maiden, Ivan Rebroff und dem James Last Orchester. Die One-Stop Tour ging durch das zu der Zeit noch exotische Ostdeutschland und diverse Subkontinente. Damals, kurz nach der Revolution in der SBZk war dies noch ein rechtes Abenteuer, das sich nur Hasardeure, Idealisten und geldgierige Krämerseelen zumuteten. Daher waren die Musiker von Wolfstein auch bereit einen unerfahrenen Novizen wie mich als Kanonenfutter mitzunehmen.
Am frühen Morgen des großen Tages luden wir zunächst diverse PKWs, Busse und Güterzüge mit den Instrumenten und dem Equipment voll, bevor wir gen Osten in See stachen. Während der Fahrt bewies der Gittarist auf der A4 unerwartetes artitstisches Geschick, in dem er seine Blase während der Fahrt aus der Seitentür eines VW-Busses entleerte. Mit dieser Nummer machte er einige Jahre später große Karriere in Andres Heller's Zirkusspektakel.
Bei unserer Ankunft in Erfurt, wurden wir dann gewahr, dass der Vertrag für diesen Auftritt wohl über ein paar Finessen im Kleingedruckten verfügte, die die Rechtsabteilung von Wolfstein unterschätzt hatte. Statt des erwarteteten Rockfestivals trat die Band auf einem kleinem Schützenfest auf. Statt der Halle voller enthusiastischer Fans gab es nur eine notdürftig zusammengebaute, nicht überdachte Bühne im Freien mit fünf Reihen spartanischer Holzbänke. Statt der freien Verpflegung gab es nur eine (!) Palette Dosenbier für die ganze Gesellschaft. Trotz des wolkenverhangenen Himmels luden wir die PA und das Arsenal der Instrumente aus und suchten passende Orte auf der Bühne...
Unser Eifer wurde jedoch sehr schnell gestoppt, als uns eine Dame deren Name ganz sicher Pamela, Cindy oder Kim war erklärte, dass Wolfstein nicht auf der Bühne spielen könne. Dort die andere, die eigentlich Kapelle des Abend aufspiele. Uns wies sie mit den Worten "Nu, mir sinn hier halt noch a bissl wie in der Zone" ein Stück Wiese links neben der Bühne zu. Wenn die Zone so war, bedauerte ich nicht, nie dort gewesen zu sein.
Schnell zimmerte ich mit dem als "Schnitzelfriedhof" bekannten Drummer aus ein paar leeren Paletten ein Podest für sein Schlagzeug und die zirka 800 Kilo schwere Hammondorgel. Sänger, Gittarist und Bassist würden während des Konzerts im Matsch stehen müssen. Langsam kam uns der Verdacht, dass die Tour durch den wilden Osten tatsächlich wild werden würde...

Eric H. - der größte Rockstar der DDR


Das Medium-Terzett - ein ganz wilder Haufen.
Von links nach rechts:
Eddie - der Blitz - Huber, Gottfried "Metalking" Meyer, Waltraut "Braindead" Schmidt, nach Ihrer Geschlechtsumwandlung

Die zweite Band des Abend - die die auf der Bühne spielen durfte - entpuppte sich als eine Truppe von Leuten in grellbunten Jackets, die verdammt an das Medium Terzett erinnerte. Der Musikstil der Herren war uns bereits aus Aufzügen, Supermarktbeschallung und Telefonwarteschleifen wohlbekannt. Das Auditorium war jedoch hochbegeisterter von dieser Art der Unterhaltung. Bald schunkelte es, bald gab es sich in einem halsbrecherischen langsamen Walzer dem tobenden Rythmus hin. Einzig die Musik von Wolfstein kam so gar nicht an...

Die Planung der musikalische Abendgestaltung sah vor, dass jede Band jeweils drei bis vier Stücke spielte und dann an die andere Combo übergab.
Nach dem ersten Set von Wolftsein, herrschte eisiges Schweigen. Keine Reaktion des Publikums. Kein Applaus. Nichts. Dies bleib nach jedem Set der westerwälder Buben so. Ein mutiger Zuhörer traute sich irgendwann zumindest "Scheiss Wessis, fahrt wieder heim!" zu sagen, worauf seine Kumpanen ihm aufmunternd auf die Schultern klopften.

Die Stücke der anderen Band entfachten hingegen orgiastische Begeisterungsstürme, die an die Auftritte der Beatles erinnerten. Fünfzigjährige Dauerwellerträgerinnen warfen ein ungeahnter Hysterie pinkfarbene Slips von der Größe einer Hängematte auf die Bühne, verzehrten Unmengen an Nusslikör und fielen schwitzend um.

Inzwischen war ich froh, dass in sicherer Entfernung der Hauptbühne stand.

Burkhardt, der stimmgewaltige Sänger von Wolfstein tat das einzig was in einer solchen Situation sinnvoll ist und von der Musikergewerkschaft empfohlen wird: er betrank sich bis zur Besinnungslosigkeit. Bei den letzten Stücken - Coverversionen von bekannten Weisen Jimi Hendrix' und Bob Dylans - lag er zusammen mit einem Erfurter Berufstrinker auf der ehemals antikapitalistischen Wiese und gab seine Kunst zum besten. Ein Bild, dass alle Besucher von Woodstock sich sicher leicht ausmalen können, bis auf die ehemals antikapitalistische Wiese versteht sich.

Nach dem Ende des Konzertes bauten wir unsere Ausrüstung ab, beluden die Fahrzeuge und suchten ein Nachtquartier. Der Konzertveranstalter bot uns in einem Anflug ungeahnter Philantropie ein ehemaliges FDJ-Heim an, wo wir kostenfrei auf den Tischen liegend übernachten durften. Das Fass Bier wurde bei unserer Ankunft vorsorglich von der Zapfanlage getrennt. Geübten Trinkern wie uns war es jedoch ein leichtes den leckeren Gerstensaft aus dem Faß zu bekommen. Wir zechten die ganze Nacht und dank dem im Schnitzelfriedhof eingebauten Metzgerei-Kompass fanden wir am nächsten Morgen einen Ort an dem wir 12 Kilo sehr leckerer Wurstwaren für 2,52 Mark (West) ersteigern konnten.
Seit diesem eigenartigen Erlebnis habe ich die offizielle Erlaubnis alle Zeilen in "We are the roadcrew" laut mitzusingen. Danke, Herr Kilmister, danke Wolfstein.


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last change: 29-12-2002